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Hypermedia-Texte I: Übersicht

Schreiben, um besucht zu werden: Leitlinien bei der Textgestaltung fürs World Wide Web

1. Textrezeption am Computermonitor

Es gibt eine Reihe von Studien zur Rezeption am Bildschirm und zur Nutzung von Hypertext- und Web-Angeboten ("Usability", "Software-Ergonomie"). Die Untersuchungen verwenden Methoden aus der Rezeptionsforschung wie Videobeobachtung und lautes Denken, Fragebogen (offline und online), Auswertung von Nutzungsprotokollen und Blickbewegungsmessungen (Eye-Tracking). Bereits vor dem WWW-Boom wurden softwareergonomische Aspekte untersucht; empfehlenswerte "Klassiker" sind Shneiderman 1992 für die Gestaltung der Mensch-Computer-Schnittstelle in interaktiven Softwareanwendungen und Marcus 1992 für das grafische Design von Nutzeroberflächen.

Einer der "Gurus" der hypermedia-bezogenen Usability-Forschung ist Jacob Nielsen, der lange Zeit am Usability Lab von Sun Microsystems arbeitete und ein viel rezipiertes Einführungsbuch zu Hypermedien/Hypertext (Nielsen 1995) verfasst hat. In seiner Kolumne "Alertbox" behandelt er Themen zu Nutzung und Gestaltung des WWW. Im Kolumnenbeitrag "Differences between Print Design and Web Design (Alertbox Januar 1999)" weist er darauf hin, dass für die Gestaltung von Web-Texten andere Regeln gelten als für die Geslatung von gedruckten Texten; seine radikale Einschätzung lautet sogar: "Anything, that is great print design is likely to be a lousy web design". Als wichtige Unterschiede zwischen Papier und Bildschirm, derer man sich beim Web-Design bewusst sein sollte, nennt er:

  • Print-Seiten haben eine 2-dimensionale Flächigkeit, auf der Text- und Bildelemente fest als Ensemble fixiert sind. Sie werden als Ganzheit wahrgenommen und mit den Augen erkundet ("Print design is based on letting the eyes walk over the information").
  • Web-Seiten werden mit den Augen und mit der Maus erkundet ("Web design functions by letting the hands move the information"). Web-Seiten treten dem Nutzer nicht als vollständige Ganzheiten entgegen, sondern bauen sich von oben nach unten sukzessive auf - die Anordnung der Information auf der Vertikalen ist deshalb besonders wichtig. Wie schnell sich die Seite aufbaut und wieviel der Nutzer von der Seite auf dem Bildschirm zu sehen bekommt, hängt ab von Faktoren wie Bildschirmgröße, Auflösung, Browsereinstellungen etc.. Bei dynamischen Web-Angeboten sind selbst die angezeigten Inhalte nicht mehr vordefiniert; die Zusammenstellung der Seite erfolgt erst zur Laufzeit.

Die Ergebnisse verschiedener Studien, die Nielsen und andere am Sun Usability Lab zur Web-Rezeption durchgeführt haben (Morkes/Nielsen 1997) und die auch von anderen Studien (z.B. Bucher/Barth 1998) bestätigt werden, lassen sich folgendermaßen auf den Punkt bringen:

  • Lesen am Bildschirm ist langsamer (nach Nielsen et al. 1998 um 25%) und fehleranfälliger.
  • Auch bei kurzen Texten werden Texte meist nicht Wort für Wort vom Anfang zum Ende gelesen.
  • Statt dessen werden die Texte "gescannt", d.h. nach Schlüsselwörtern abgesucht, die ggf. als Einstiegspunkt für die intensivere Lektüre dienen (nach der Studie in Nielsen et al. 1998 sind dies ca. 80%).
  • Einige Untersuchungen fanden heraus, dass die gelesenen Texte weniger tief verarbeitet/ schlechter behalten werden (siehe z.B. die Studie von Karen Murphy, http://www.osu.edu/units/research/archive/comptext.htm).
  • Es besteht wenig Bereitschaft zur Lektüre v.a. längerer Texte; lange Seiten zum Scrollen werden nicht gemocht.
  • Statt dessen gibt es eine "weiter-geht's"-Haltung, die funktional ist für Einstiegs-, Überblicks- und Navigationsseiten, bei denen die Selektion und Navigation im Vordergrund steht, die aber natürlich nicht unbedingt im Sinne des Autors ist bei Seiten, in denen Inhalt vermittelt werden soll.

Die Gestaltung von Hypermedia-Texten, in denen komplexere Inhalte vermittelt werden (Berichte, Produktbeschreibungen, Diskussionen), muss also aktive, engagierte Nutzer bedienen, die mit der Maus in der Hand vor dem Bildschirm sitzen und sich möglich schnell zu den Inhalten durchklicken wollen, die sie interessieren. Diese Grundhaltung ist weitgehend unabhängig vom Rezeptionsmodus (d.h. ob gezielt gesucht oder assoziativ gestöbert wird). Die Nutzer der Studie von Morkes & Nielsen formulierten als wichtigstes Ziel: "to find useful information as quickly as possible".

Die Ergebnisse der Studien motivieren die übergreifenden Leitlinien für die Textgestaltung im WWW, die Morkes & Nielsen folgendermaßen auf den Punkt bringen: "Concise, scannable and objective" (vgl. die Faustregeln in Abschnitt 2).

  • Der Wunsch nach Kürze und Prägnanz kommt den o.g. Besonderheiten der Web-Rezeption entgegen.
  • "Objective" (sachlich) trägt der Tatsache Rechnung, dass die meisten der befragten Nutzer Selbstanpreisung und Superlative (sog. "Marketese") in den Texten ablehnen. Glaubwürdigkeit ("credibility") und Zuverlässigkeit ("reliability") der Information wird hingegen als wichtig gewertet.

Die Leitlinie "objective" betrifft v.a. auch Firmenauftritte mit Informationsseiten zu Produkten. Vornehmliches Ziel sollte es nicht sein, das Wohlgefallen des Firmenmanagments zu wecken, sondern die Interessen und Wünsche der Kunden/Nutzer zu bedienen. Nielsen warnt in seinem Beitrag "Top Ten Mistakes in Web Management” deshalb: "Do not build a site that your top executives will love: they are not the target audience! (Nielsen 1997). Entsprechende Fehlkonzeptionen lassen sich mit einer zyklischen Entwurfsmethodik vermeiden, die von vornherein an Zielsetzungen, Nutzergruppen und deren Interessen orientiert ist (vgl. die Methodik der Site-Planung nach Fleming 1998 im Kapitel Hypermedia-Texte planen und strukturieren).

2. Faustregeln für bildschirmgerechtes Schreiben

Die folgenden Empfehlungen sind aus den o.g. Nutzerstudien abgeleitet und finden sich in vielen Ratgebern für das Online-Schreiben. Es sind jedoch lediglich Faustregeln, die in Bezug auf die journalistische Textsorte, die verfolgte Zielsetzung, die anvisierte Adressatengruppe weiter differenziert werden müssen.

  • Kurz und prägnant: Die Texte sollten schnell und ohne Umschweife zum Punkt kommen. D.h.: Kurze Abschnitte, kurze Sätze, unkomplizierter Satzbau, keine Silbenschleppzüge. Morkes/Nielsen 1998 empfehlen bis zu 50% Kürzung gegenüber den Printtexten. Meier 1999 und andere Schreibratgeber legen eine Orientierung an den Schreibregeln für Nachrichten und am Texten fürs Radio nahe.
  • Aber wie schon für das Textdesign im Printmedium gilt: "Kürzer heißt nicht verkürzt" (Blum/Bucher 1998, S.24) - die modularisierte Informationsgestaltung darf nicht auf Kosten des Inhalts gehen. Die Kunst besteht vielmehr darin, den Inhalt in miteinander verlinkte Informationsbauteile (die Module bzw. "content chunks") zu zerlegen, bei denen der Nutzer selbst entscheiden kann, für welche Aspekte des Themas in welcher Detailtiefe er sich entscheidet.
  • "Detail bei Bedarf" ("detail on demand") heißt das Prinzip, das eine knappe und prägnante Schreibweise verbindet mit reichhaltigen und beliebig ins Detail führenden Informationsangebot. Die Kernpunkte eines Themas kurz abhandeln und Links zu weiterführenden Details anbieten. Kürzen und Verlinken müssen bei der Hypertextplanung also Hand in Hand gehen. Das Prinzip kann auf verschiedene Weise umgesetzt werden (vgl. dem Abschnitt "Modularisieren und Verknüpfen" im Kapitel Hypermedia-Texte planen und strukturieren).
  • Für die Anordnung der Inhalte innerhalb derselben Hypertextseite empfehlen Nielsen 1996 und andere die Organisationsform der "umgekehrten Pyramide", die auch im "traditionellen" Journalismus als wichtiges Ordnungsprinzip gilt: Das Wichtigste kommt zuerst, der Rest ist nach abnehmender Wichtigkeit geordnet. Im Print-Medium gilt die umgekehrte Pyramide v.a. als für Agenturmeldungen und kleine Berichte geeignet (vgl. die Erörterung des Prinzips und seiner Alternativen in Blum/Bucher 1998, 42). Im Web-Design wird diese Anordnung neu motiviert, weil sich die "Seiten" von oben nach unten am Bildschirm aufbauen, und die Nutzer nicht immer zum Scrollen bereit sind. Die vertikale Anordnung von Information gewinnt also an Gewicht. Wenn gleichwertige Teilthemen auf derselben Seite abgehandelt werden, empfiehlt sich ein klickbares Inhaltsverzeichnis am Seitenanfang.
  • Das Scannen unterstützen ("Scannability"): Der scannenden, selektiven Rezeption der Web-Nutzer kommen folgende Gestaltungsmerkmale entgegen:
    • Schlüsselwörter bzw. thematische Sätze auszeichnen
    • Kurze Abschnitte (Eine Idee pro Abschnitt)
    • Sprechende Zwischenüberschriften
    • mehr Listendarstellungen als bei Print
    • Infografiken
  • Dem Wunsch nach sachlicher Information (s.o. "objective") kann man Rechnung tragen, indem man seinen Wunsch nach Selbstdarstellung zurückstellt und sich an den Bedürfnissen und Interessen der anvisierten Nutzer orientiert. Dies betrifft nicht nur die Textgestaltung, sondern auch den Einsatz von neuester Web-Technologie und nicht funktionaler Multimedia-Elemente (Animation, Ton und Video).
  • Links zu externen Quellen und Hintergrundinformationen erhöhen die Glaubwürdigkeit im journalistischen Bereich. Wichtig hierfür ist auch die Angabe des Autors, die Datierung (Erstellung, Datum der letzten Änderung) und die Angabe einer Email-Adresse für die Kontaktaufnahme.
  • Für die typographische Gestaltung von Web-Seiten gibt es folgende Faustregeln (vgl. Ballstaedt 1997):
    Mikrotypographie (Schrift):
    Nutzer bevorzugen am Bildschirm serifenlose Schriften (z.B. Arial, Helvetica), v.a. bei kleiner Schrift bzw. hoher Auflösung.
    Im Idealfall einen hohen Schriftgrad wählen (mindestens 12, am besten 14).
    Kursiv und fett ist auch am Bildschirm schlechter lesbar als normale Schriften; deshalb allenfalls zur Hervorhebung verwenden.
    Makrotypographie (Absatzgestaltung/ Seitenlayout):
    Untersuchungen empfehlen eine Zeilenlänge von 8-10 Wörtern; die Verständlichkeit wird erhöht, wenn syntaktisch zusammengehörige Wortgruppen nicht auseinander gerissen werden. Kurze Zeilen besser im Flattersatz halten.
    Auszeichnung von Schlüsselwörtern: keine Unterstreichung, sondern fett, kursiv oder Farbschrift. Das Auge kann mit einem Blick (Fixation) nur ca. drei Wörter aufnehmen, deshalb nur Einzelwörter oder kurze Phrasen unterstreichen.
    Inhaltliche Gliederung im Erscheinungsbild sichtbar machen. Z.B.: Aufzählungen, Absätze, Horizontale Trennlinien bei längeren Seiten.
    Blinkende Textsegmente vermeiden.

Die Faustregeln sollten jedoch bei der zweck- und adressatenorientierten Webgestaltung nicht zur Zwangsjacke werden. Das Rezeptionsverhalten variiert nach Parametern wie Alter, Internet-Erfahrung, Informationsziel, Bildschirmauflösung etc.. Nicht nur das Web ändert sich, sondern auch die Nutzer und ihr Verhalten. Beispielsweise beruft sich Nielsen 1996 in seinen "Top Ten Mistakes of Web Design" auf eine Studie, nach der nur 10% der Nutzer bereit sind, vertikal zu scrollen (was natürlich gravierende Konsequenzen für die Web-Gestaltung hat). Diese Angabe musste revidiert werden; inzwischen sind mehr Leute bereit, zu scrollen. Wenn Displays mit papieräquivalenter Auflösung und/oder transportable Lesegeräte zu akzeptablen Preisen auf den Markt kommen werden, kann die Bereitschaft, am Bildschirm längere Texte zu rezipieren, schnell steigen. Als übergreifende Leitlinie gilt also immer: "Form follows function".

3. Was sollte man vermeiden?

Auch wenn Ergebnisse der Usability-Forschung die eigene Kreativität nicht blockieren dürfen, sollte man die Warnhinweise von Designexperten zumindest kennen und bedenken.

Wichtige Hinweise enthalten die "Top Ten Mistakes of Web Design", die Jacob Nielsen 1996 (http://www.useit.com/alertbox/9605.html) in seiner Kolumne publiziert und 1999 (http://www.useit.com/alertbox/990502.html) noch einmal ausgewertet hat. Sehr empfehlenswert und amüsant zu lesen sind auch die "Goldenen Regeln für schlechtes HTML" ( http://www.karzauninkat.com/Goldhtml/goldhtml.htm) von Stefan Karzauninkat. Vermeidbare Fehler aus Nielsens "Top Ten", die auch 1999 noch als sehr schwerwiegend eingestuft werden, sind:

  • Bleeding-edge-technology: Wer immer die neueste Technologie verwendet, wer seinen Auftritt für die maximale Bandbreite und für die neuesten Browsermodelle plant, schränkt seinen Nutzerkreis erheblich ein.
  • Scrolling Text and looping animation: Lenkt vom Inhalt ab und nervt!
  • Lack of navigation support: Erst verständliche und adressatengerechten Navigationshilfen machen es möglich, die auf der Site angebotenen Inhalte zu finden und zu nutzen.
  • Outdated Information: Web-Angebote müssen kontinuierlich gepflegt und aktualisiert werden. Zu den "Top Ten Mistakes of Management" (http://www.useit.com/alertbox/9706b.html) gehört es nach Nielsen, bei der Finanzplanung das Budget für Wartung und Pflege zu vergessen.
  • Slow download times: Multimedia-Elemente (Animation, Ton und Video) erhöhen die Ladezeiten u.U. beträchtlich; sie sollten deshalb mit Bedacht und möglichst nur als optional zuladbare Zusatzangebote eingesetzt werden.



Zum Weiterstöbern:

Top Ten Mistakes of Web Design (Jakob Nielsen)
Die Goldenen Regeln für schlechtes HTML (Stefan Karzauninkat)

Zum Weiterlesen:

S.-P. Ballstaedt: Die Gestaltung von Lehrmaterial. Weinheim 1997.
J. Blum & H.-J. Bucher: Die Zeitung: Ein Multimedium.Textdesign - ein Gestaltungskonzept für Text, Bild und Grafik. Konstanz 1998.
H.-J. Bucher & C. Barth: Rezeptionsmuster der Online-Kommunikation. In: Media Perspektiven 10. 1998, S. 517-523.
J. Fleming: Web Navigation. Designing the User Experience. Bejing, Cambridge u.a. 1998.
A. Marcus: Graphic Design for Electronic Documents and User Interfaces. New York 1992.
K. Meier (Hrsg.): Internet-Journalismus: Ein Leitfaden für ein neues Medium. Konstanz 1999.
J. Morkes & J. Nielsen: Concise, Scannable, and Objective: How to Write for the Web. WWW-Ressource (1997): http://www.useit.com/papers/webwriting/writing.html.
J. Morkes & J. Nielsen: Applying Writing Guidelines to Web Pages. WWW-Ressource (1998): http://www.useit.com/papers/webwriting/rewriting.htm.
J. Nielsen: Multimedia and Hypertext. The Internet and Beyond. Boston 1995.
J. Nielsen: Inverted Pyramids in Cyberspace (Alertbox Juni 1996). WWW-Ressource (1996): http://www.useit.com/alertbox/9606.html.
J. Nielsen, J. Fox & P.J. Schemenaur: Writing for the Web. 1998.
B. Shneiderman: Designing the User Interface. Strategies for effective Human-Computer-Interaction. Mass et al. 1992.
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