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Hypermedia-Texte I: Übersicht

Hypermedia-Texte planen und strukturieren

1. Hypertext-Strukturierung

Aus den grundlegenden Bauteilen auf der konzeptionellen Ebene - Modulen und Links - (siehe Kapitel "Bauteile von Hypermedia-Texten") lassen sich komplexere Strukturen aufbauen. Als wichtigste Strukturierungstypen gelten:

  • Die Hierarchie (Überordung-Unterordnung)
  • Der Pfad (Vorgänger-Nachfolger)
  • Das Netz (assoziative n:m-Verknüpfung)
Abb. 1: Hierarchisches Grundgerüst
Abb. 1: Grundgerüst mit themenbezogenem Pfad
Abb. 1: Netz (assoziative Links quer zum Grundgerüst)

Bei größeren Sites sind die drei Strukturtypen meist kombiniert. Für die Inhaltsstrukturierung beim Entwurfsprozess ist es meist sinnvoll:

  • In einem ersten Schritt das hierarchische Grundgerüst festzulegen. Abb. 1 zeigt das hierarchische Grundgerüst einer begleitenden Web-Site zu einer Seminarveranstaltung mit dem Thema "Hypermedia-Texte planen und schreiben".
  • Im zweiten Schritt können dann themen- und funktionsbezogene Pfade durch die Hierarchie gelegt werden. Abb. 2 zeigt einen Pfad zum Thema "Hyperlinks", der durch die Module des Kurses führt.
  • Bei der Ausgestaltung und der weiteren Pflege des Hypertextes können die Module und ihre Bestandteile assoziativ durch interne und externe Links zu einem Netz "verknüpft" werden. Abb. 3 visualisiert die entstehende Struktur.

Hierarchien lassen sich beschreiben im Hinblick auf:

  • ihre Breite: Je größer die Anzahl der Elemente auf einer Hierarchiebene, desto breiter ist die Hierarchie. Bei breiten Hierarchien können die Nutzer mit einem Mausklick sehr viele Module erreichen. Aber: Je mehr Module zur Wahl stehen, desto größer der Aufwand für die Entscheidung.
  • ihre Tiefe: Je größer die Anzahl der Hierarchieebenen, desto tiefer ist die Hierarchie. Bei tiefen Hierarchien kann der Weg zur gesuchten Informationen mehrere Mausklicks lang sein (ggf. Abkürzungen anbieten). Vorteil: gute Basis für systematische Navigationsplanung.

2. Site-Planung: Methodische Schritte

Die Erstellung von Web-Sites ist kein linearer Prozess, der zu einem fertigen Produkt führt (wie bei der Buch- und Zeitungsherstellung). Es ist vielmehr ein zyklischer Prozess, bei dem im ersten Durchlauf eine Site im Web publiziert wird, die dann getestet und in weiteren Zyklen ausgebaut und gepflegt werden kann. Die Planung einer Site bzw. von offenen Hypermedia-Texten endet also nicht mit deren Publikation im WWW; vielmehr müssen Pflege und Ausbau von vornherein mitberücksichtigt werden. Nach Nielsen gehört es zu den "Top Ten Mistakes of Web Management", dass kein Geld/ zuwenig Geld für die weitere Pflege, bzw. den Ausbau und die Kommunikation mit den Nutzern veranschlagt wird (Nielsen 1997).



Abb. 1: Zyklischer Entwurfsprozess nach Fleming (1998, S.76)

Dies kann vermieden werden, indem man die Planung von vornherein als Zyklus konzeptualisiert. Fleming 1998, Kap. 6 beispielsweise geht in ihrer Entwurfsmethodik geht von sechs Phasen aus (vgl. Abb. 4). Das Modell orientiert sich an einem Szenario, in dem eine Site / eine Hypermedia-Anwendung für einen Auftraggeber durchgeführt wird.

Phase 1: Infosammlung (Information Gathering):
  • Zielsetzung und Motivation: welchem Zweck dient die Site?
  • Festlegung der Adressatengruppen; wen soll die Site ansprechen?
  • Festlegung von Erfolgskriterien / Zielvorgaben: wie kann der Erfolg der Site überprüft werden?
  • Dokumentation vorhandener Ressourcen (finanziell, personell, inhaltlich) und Entwicklung eines Zeitplans, soweit das ohne genaue Festlegung von Phase 2 möglich ist.
  • Erkundung des thematischen/institutionellen Umfelds: Was gibt es bereits, was ist gerade angesagt, was macht die Konkurrenz?
  • Erkundung der Interessen und Erwartungen der Nutzergruppe: Nutzerstudien / Umfragen.

Phase 2: Strategie-Entwicklung (strategy):
Die Strategie hat zum Ziel, die Vorstellungen der Auftraggeber und die Bedürfnisse der anvisierten Adressaten mit den vorhandenen Ressourcen in Einklang zu bringen.
  • Probleme identifizieren, die im Zusammenhang mit der Planung zu lösen sind
  • Brainstorming für Lösungen, inspiriert von Abläufen und Lösungen im "real-life" und von anderen Medien/ Anwendungen (CD-Rom; Video, Fernsehen).
  • Festlegung von Konzept und Reichweite: Die Ergebnisse des Brainstorming mit den vorhandenen Ressourcen abgleichen und ein realisierbares Konzept entwickeln.
  • Festlegung der Grundstruktur der Site: Planen und Strukturieren
  • Technische Alternativen ausloten

Phase 3: Prototyp-Entwicklung (prototyping):
Wenn vor der eigentlichen Implementationsphase ein Prototyp entwickelt und getestet wird, können Schwierigkeiten noch behoben und Nutzerwünsche zu einem Zeitpunkt berücksichtigt werden, zu dem Grundstruktur und Naviagtionskonzept noch ohne große Mühe veränderbar sind. Ein späteres Redesign ist viel aufwendiger.
Faktoren, die man testen sollte:
  • Grundstruktur und Linkgestaltung (Granularität; Linkdichte, Linkkennzeichnung und -positionierung)
  • Navigationskonzept und Suchhilfen (Orientierung, cognitive overload)
  • Mikro- und makrotypographisches Design
Auf der Basis der Evaluierung der Prototypen entwickeln sich die wesentlichen Vorgaben für die Implementierung: das Grundgerüst, das Navigationskonzept, das typographische Design. Wenn man die Ergebnisse der einzelnen Schritte dokumentiert, ist es später leichter, bestimmte Entscheidungen nachzuvollziehen.

Phase 4: Implementierung (implementation):
Implementierung der Site nach den Vorgaben von Phase 3; meist ergeben sich dabei noch weitere Probleme und Veränderungen, die ggf. eine Überarbeitung und Veränderung des Konzepts nötig machen.

Phase 5: Auftritt (launch):
Vor dem Auftritt sollte auf jeden Fall eine Qualitätsprüfung (am besten durch nicht an der Entwicklung beteiligte Personen) erfolgen. Wichtige Qualitätsmerkmale sind: Nutzerfreundliche Navigationsgestaltung; Konsistenz und Stabilität; Kompatibilität mit verschiedenen Browserversionen und -typen. Zum Auftritt gehört die vorgängige oder nachträgliche Ankündigung der Site; das Marketing im Netz und in anderen Medien; das Bekanntmachen der Site bei Suchdiensten etc.

Phase 6: Ausbau und Pflege:
Diese Phase muss bereits bei der Planung berücksichtigt werden. Wieviel Pflege eine Site benötigt, hängt sehr stark davon ab, wie schnell sich die Inhalte verändern und wie viele Interaktions- und Kommunikationsangebote vorhanden sind. Je nach Typ der Site kann nach dem Auftritt mehr zu tun sein als zuvor.
Zu den Standardaufgaben gehören:
  • Neue Inhalte einbinden (Ausbau schon bei der Planung berücksichtigen)
  • Links pflegen und aktualisieren
  • Kommunikation mit den Nutzern
  • Nutzerprotokolle auswerten und darauf reagieren
  • Ab und an: Neue Dekoration / Umzug / Redesign & Relaunch

In diesem Kapitel konzentrieren wir uns auf die Planung und Strukturierung der Site und den Entwurf von Navigationsstrategien.

Für die Planung und Dokumentation der Grundstruktur einer Site ist es sinnvoll, mit graphischen Strukturdarstellungen zu arbeiten. Diese können später als Grundlage für entsprechende Überblickshilfen dienen.

  • Ein Ablaufdiagramm (Flowchart) (wie z.B. Abb. 3) zeigt die Grundstruktur und die wichtigsten Strukturlinks (Hierarchie / Pfad). Module sind als Kästchen, Links als Pfeile dargestellt; die oben-unten-Orientierung gibt die hierarchische Grundstruktur wieder. Die Wegeplanung im Ablaufdiagramm erfolgt ausgehend von der Einstiegsseite.
  • Die in Rosenfeld/Morville 1998 beschriebenen "Blueprints" verfügen über Modellierungselemente zur Darstellung von Mengen gleichartiger Module und zur Darstellung von Modul-Clustern. Sie unterscheiden zwischen Modulen ("content chunks") als konzeptionellen Einheiten und Seiten ("pages") als Einheiten der Präsentationsebene, trennen also zwischen Inhaltsstrukturierung und Navigationsplanung. Der auf die Inhaltsstrukturierung bezogene Ansatz enthält allerdings keine Darstellungskonventionen für Linkstrukturen und Linktypen.

3. Modularisieren und Verknüpfen

Die modulare Aufbereitung von Information ist keine Novität des WWW, sondern findet sich bereits im gedruckten Medium. Bei der modularen Informationsaufbereitung des Textdesign (vgl. Blum/Bucher 1998) wird komplexe Information auf mehrere Module (Text, Grafik und Bild) verteilt, die auf einer Printseite zu einem Cluster verbunden werden. Im Gegensatz zum sequentiellen Langtext unterstützt diese Organisationsform die selektive, partielle und interessengeleitete Lektüre. Dies kommt den veränderten Rezeptionsgewohnheiten der Zeitungsleser entgegen und fördert im Idealfall auch die Verständlichkeit (Bucher 1996).

Es gibt wesentliche Unterschiede zwischen dem Textdesign für Printmedien und der Planung und Strukturierung einer Site (s.u. Studien zur Bildschirmrezeption). Dennoch lassen sich die für das Textdesign entwickelten Prinzipien der Zerlegung von komplexer Information in kleinere Module gut auf die Modularisierung in Hypertexten übertragen. (Blum/Bucher 1998, 25ff).

  • Die funktionale Zerlegung orientiert sich an der kommunikativen Zielsetzung, die mit verschiedenen Modulen auf unterschiedliche Weise erreicht wird.
  • Die perspektivische Zerlegung stellt unterschiedliche Sichtweisen zum behandelten Gegenstand zusammen, beleuchtet ihn aus verschiedenen Perspektiven.
  • Die thematische Zerlegung ist das übergreifende Prinzip für die Hypertextstrukturierung und motiviert die hierarchische Anordnung nach Detailebenen.

Die Prinzipien schließen einander nicht aus, sondern können gleichzeitig zum Tragen kommen. Abb. 5 zeigt ein schematisches Beispiel für die modularisierte Aufbereitung von Informationen.



Abb. 5: Funktionale und perspektivische Zerlegung


4. Thematische Zerlegung nach Detaillierungsebenen ("detail on demand")

Das für Hypertext typische Linking ist als Verfahren der Re-Komposition der zerlegten Module wesentlich flexibler als das Clustering bei der gedruckten Textdesign-Zeitung: Es ist nicht an eine Seitengröße gebunden, sondern kann beliebig in die Tiefe und in die Breite erweitert werden. Dies wird allgemein als der entscheidende Mehrwert von Hypermedia-Texten angesehen: "The incredible thing that's available on the web is the ability to go deeper for more information" (Morkes/Nielsen 1997)

Die Faustregel "detail on demand" steht für eine modulare Informationsaufbereitung, bei der autonom rezipierbare Module in eine nach Detaillierungsgraden geschichtete Hierarchie eingeordnet und durch assoziative Links miteinander verwoben sind. Die Schichtung nach Detailebenen kann durch unterschiedliche Prinzipien motiviert sein:

  • Thematische Granularität: z.B. die Unterteilung in ein Hauptthema, Teilthemen und ggf. thematische Nebenstränge. Verschiedene Detaillierungstufen können sich aber auch auf Nutzergruppen mit unterschiedlichem Vorwissen oder unterschiedlichem Bedarf an Detailschärfe einstellen.
  • Ganzes-Teil-Granularität: Eine Ganzheit kann in immer kleinere Teile zerlegt werden. Ganzheiten können konkrete Objekte (Artefakt, Organismus), Handlungen und Ereignisse, Räume und Zeitverläufe sein.
  • Vordergrund-Hintergrund-Granularität: Ein Thema im Vordergrund (z.B. ein aktuelles Ereignis) wird durch Hintergrundinformation angereichert.


Abb. 6



Abb. 7



Abb. 8

Die Art der Zerlegung gibt bereits wesentliche Anhaltspunkte für den Entwurf möglicher Navigationsstrategien und die Ausgestaltung von Navigationshilfen.


Zum Weiterlesen:

J. Blum & H.-J. Bucher: Die Zeitung: Ein Multimedium.Textdesign - ein Gestaltungskonzept für Text, Bild und Grafik. Konstanz 1998.
H.-J. Bucher: Textdesign - Zaubermittel der Verständlichkeit? - Die Tageszeitung auf dem Weg zum interaktiven Medium. In: E.W.B. Hess-Lüttich/W. Holly/U. Püschel (Hgg.): Textstrukturen im Medienwandel. Frankfurt et al. 1996, S. 31-59.
J. Fleming: Web Navigation. Designing the User Experience. Bejing, Cambridge u.a. 1998.
J. Morkes & J. Nielsen: Concise, Scannable, and Objective: How to Write for the Web. WWW-Ressource (1997): http://www.useit.com/papers/webwriting/writing.html.
L. Rosenfeld & P. Morville: Information Architecture for the World Wide Web. Boston 1995.
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